Staffel 1 – Folge 1

Die Stille der uralten Krypten unterhalb der Nebelberge, ein Ort des Respekts und der Ehrfurcht, war seit Äonen ungestört gewesen. Hier, in der Dunkelheit, wo die versteinerten Überreste der ersten Könige und Königinnen von Draconis ruhten, schlummerten auch die unruhigen Geister jener mächtigen Wesen, die einst mit Weisheit und Strenge über das Land gewacht hatten. Ihre ewige Ruhe war ein heiliges Versprechen, ein unsichtbares, doch allgegenwärtiges Schild, das das Reich vor den Schatten jeglicher Dunkelheit bewahrte.
Doch in einer mondlosen Nacht, als der Wind mit unheilvoller Intensität heulte und über die schroffen Gipfel pfiff wie eine klagende Totenwache, drangen Schatten in die Tiefen. Sie bewegten sich flüchtig wie der Atem des Todes selbst, doch ihre unheimlichen Schritte hallten mit einer beunruhigenden Präzision durch die staubigen, steinernen Gänge. Ihr einziges Ziel lag im Herzen des Labyrinths: ein einzelner Sarkophag, gefertigt aus Obsidian und überzogen mit Runen, deren Bedeutung seit Jahrtausenden im Nebel der Zeit verloren gegangen war. Darin ruhte nicht etwa ein vergänglicher, sterblicher Überrest, sondern die „Träne des Himmels“, ein Kristall von unbeschreiblicher Reinheit und pulsierender Macht, der als heilige Verbindung zwischen der Welt der Lebenden und den Geistern der Ahnen diente – ein Geschenk der Götter in grauer Vorzeit.
Die Diebe, gehüllt in bodenlange, nachtschwarze Kutten, deren Gesichter wie von einer unsichtbaren Hand im tiefsten Schatten verborgen blieben, arbeiteten mit einer bemerkenswerten, fast schon unheimlichen Effizienz. Mit filigranen Werkzeugen aus einem unbekannten, mattschwarzen Material lösten sie die komplizierten Siegel des Sarkophags, deren magische Energie kaum noch spürbar flackerte, und hoben vorsichtig den schweren Deckel aus dem kühlen Stein. Ein pulsierendes, bläuliches Leuchten, so hell wie der arktische Himmel in der längsten Nacht, erfüllte den Raum, als sie den Kristall entnahmen. In diesem Moment schien die uralte Luft selbst zu erzittern, und ein tiefer, resonierender Ton, wie das Grollen eines fernen Donners, hallte durch die zerklüfteten Berge, ein vielstimmiges Murmeln wie von tausend Stimmen, die jäh aus einem tiefen Schlaf gerissen wurden und nun in unartikuliertem Zorn aufwachten.
In den fernen, windgepeitschten nördlichen Hochebenen, wo der Eisclan, ein stolzes und widerstandsfähiges Volk, dessen Leben seit unzähligen Generationen eng mit den harschen, aber gerechten Gesetzen des Winters verwoben ist, in stiller Harmonie mit der eisigen Wildnis lebte, spürte Ylva-Is, die junge, aber bereits willensstarke Erbin des Clans, eine plötzliche, tiefgreifende und beunruhigende Veränderung. Ihr langes, in kunstvollen Zöpfen geflochtenes Haar, das in der Farbe von gefrorenem Mondlicht schimmerte, schien die zunehmende, unnatürliche Kälte förmlich anzuziehen. Der Wind, der sonst ein vertrauter Gefährte war, der Geschichten von fernen Gipfeln und weiten Ebenen erzählte, trug nun eine schneidende, eisige Kälte mit sich, die tiefer in die Knochen kroch als je zuvor und eine unheilvolle Vorahnung verbreitete. Unnatürliche Blizzards zogen mit erschreckender Geschwindigkeit auf, verhüllten die schroffen Gipfel in ein undurchdringliches Weiß und brachten die erfahrenen Jagdgesellschaften des Clans in höchste Gefahr. Die robusten Tiere, die sonst die Kälte liebten, zogen sich tiefer in ihre schützenden Höhlen zurück, und selbst die widerstandsfähigsten Pflanzen, die sich an das karge Klima angepasst hatten, schienen unter der plötzlichen Intensität des Winters zu leiden, ihre Blätter und Nadeln erfroren und brüchig.
Ylva-Is, deren Augen von einem durchdringenden, fast schon kristallinen Blau wie das Herz eines tiefen Gletschers waren, stand auf einer windgepeitschten Klippe, den Blick sorgenvoll auf das tobende Wetter gerichtet. Die erfahrenen Ältesten des Clans, deren Gesichter von den Stürmen unzähliger Winter gezeichnet waren und die die Zeichen der Natur zu deuten wussten, sprachen mit ernster Stimme von unheilvollen Vorzeichen, von einer empfindlichen Störung des natürlichen Gleichgewichts, die das Land in Gefahr bringen könnte. Ihre Mutter, die Stammesführerin, eine Frau von unerschütterlicher Stärke und Weisheit, deren Augen sonst von Ruhe und Entschlossenheit glänzten, trug einen besorgten Ausdruck im Gesicht, den Ylva-Is in ihren jungen Jahren noch nie zuvor gesehen hatte. Die alte Prophezeiung ihres Clans, die seit Jahrhunderten in mündlicher Überlieferung weitergegeben wurde und von einer dunklen Zeit des erwachenden Zorns flüsterte – wenn das heilige Band zwischen der Welt der Lebenden und den ehrwürdigen Geistern der Vergangenheit auf unheilige Weise zerrissen würde – schien sich nun auf bedrohliche Weise zu erfüllen.

In dieser schicksalhaften Nacht, als der Sturm seinen Höhepunkt erreichte und der Himmel über den weiten Landen von Draconis von unheilvollen Blitzen erhellt wurde, die wie zuckende Nerven durch die Dunkelheit zerrissen, wusste Ylva-Is tief in ihrem jungen, aber bereits weisen Herzen, dass die uralte Prophezeiung nun bittere Realität wurde. Der Zorn der Ahnen war aufgewacht, und die Verzauberten Lande standen unaufhaltsam am Beginn einer dunklen und ungewissen Zeit. Ihre eigene, noch unbekannte Reise, so spürte sie mit erschreckender Klarheit, würde schon bald beginnen, getrieben von Pflicht und dem Ruf des Schicksals. Das uralte Amulett aus bläulich schimmerndem Eis, das sie seit ihrer Kindheit als Zeichen ihrer Abstammung um den Hals trug, fühlte sich in dieser beunruhigenden Nacht ungewöhnlich kalt an, als würde es die eisige Kälte der kommenden Ereignisse bereits vorwegnehmen.
48 Minuten