Staffel 1 – Folge 4
Weit entfernt von den eisigen Hochebenen des Nordens erstreckte sich der Wald der Einhörner, ein uralter und magischer Ort, dessen Bäume so hoch waren, dass ihre Wipfel den Himmel zu küssen schienen. Das Sonnenlicht filterte sanft durch das dichte Blätterdach und tauchte den Waldboden in ein smaragdgrünes Licht. Hier lebten die Elfen von Lorienwald in Harmonie mit der Natur und den scheuen, wunderschönen Einhörnern, die dem Wald ihren Namen gaben.
Inmitten dieser Idylle lebte ein junger Elfenprinz namens Lyrian. Anders als viele seiner Altersgenossen, die ihre Zeit mit Gesang, Tanz und den Künsten verbrachten, hegte Lyrian eine tiefe Faszination für die alten Schriften und die Geschichte der Verzauberten Lande. Er hatte Stunden in den Bibliotheken der Elfenstadt verbracht und über die dunklen Zeiten gelesen, als der Zorn der Ahnen das Land heimsuchte.
In den letzten Tagen hatte auch Lyrian eine spürbare Veränderung in der Natur bemerkt. Die Gesänge der Vögel waren verstummt, die Blätter der Bäume schienen ihren Glanz zu verlieren, und selbst die Einhörner, die normalerweise mit anmutiger Leichtigkeit durch den Wald streiften, zeigten sich scheuer und unruhiger als je zuvor. Eine dunkle Vorahnung beschlich Lyrian, und er befürchtete, dass die alten Geschichten sich wiederholen könnten.
Eines Abends, als der Mond hoch am Himmel stand und sein silbernes Licht durch die Blätter tanzte, wurde Lyrian zu den ältesten und weisesten Elfen des Waldes gerufen. In dem heiligen Hain, umgeben von den uralten Bäumen, saßen die weisesten Elfen des Waldes. Im Zentrum, auf einem Moos bewachsenen Stein, thronte Eldra. Ihr Haar war so weiß wie der erste Schnee des Winters und fiel in sanften Wellen bis zu ihren Knien. Doch ihre Augen, so blau wie ein klarer Sommerhimmel, funkelten mit der Weisheit unzähliger Jahrhunderte. Tiefe, feine Linien zogen sich um ihre Augenwinkel und ihren Mund, Zeugen vieler Zeitalter, die sie miterlebt hatte. Ihre Hände, die auf einem knorrigen Stab ruhten, waren schlank und von zarter Statur, aber sie strahlten eine stille Kraft aus.
Eldra trug ein langes, fließendes Gewand in den Farben der Abenddämmerung – tiefe Violett- und sanfte Orangetöne, verziert mit silbernen Stickereien, die die Sternbilder des Nachthimmels darstellten. Ihre Stimme, als sie sprach, war sanft wie das Rauschen der Blätter im Wind, aber jeder Ton trug eine tiefe Autorität und Weisheit in sich. Sie hatte schon das Kommen und Gehen vieler Generationen von Elfen gesehen und besaß ein unübertroffenes Wissen über die alten Prophezeiungen und die Geschichte der Verzauberten Lande. Es hieß, sie habe einst selbst mit den Ahnen gesprochen und trage deren Weisheit in ihrem Herzen.
Als sie Lyrian ansprach, lag in ihrem Blick eine Mischung aus Güte und Besorgnis. Sie kannte die Prophezeiungen und die drohende Gefahr besser als jeder andere im Wald und wusste, dass die Hoffnung nun auf den Schultern des jungen Prinzen ruhte.

„Lyrian, Sohn des Königs“, begann die Eldra, ihre Stimme so sanft wie das Rauschen der Blätter, aber mit einem tiefen Ernst unterlegt. „Wir haben die Zeichen gelesen. Der Zorn der Ahnen ist wieder erwacht. Die Träne des Himmels, das heilige Artefakt, das einst den Frieden sicherte, ist verloren gegangen.“
Lyrian war schockiert. Er hatte von der Träne des Himmels gelesen, aber er hatte nie geglaubt, dass sie tatsächlich existierte. „Wer würde so etwas wagen?“, fragte er ungläubig.
„Schatten sind in die Welt gedrungen“, antwortete eine andere Elfe. „Diener dunkler Mächte, die nach Chaos und Zerstörung trachten. Sie haben das Gleichgewicht gestört, und nun leidet die Natur.“
Die Elfen erzählten Lyrian von Visionen, die sie gehabt hatten, von einem eisigen Wind, der aus dem Norden kam, und von einer wachsenden Dunkelheit, die sich über das Land auszubreiten drohte. Sie zeigten ihm alte Karten und Schriftrollen, die von verborgenen Pfaden und vergessenen Orten in Draconis sprachen.
„Deine Bestimmung liegt darin, Lyrian“, sagte die Eldra, „dich auf den Weg zu machen und Verbündete zu suchen. Du musst herausfinden, wer die Träne des Himmels gestohlen hat und wie wir den Zorn der Ahnen aufhalten können. Der Wald der Einhörner ist nicht mehr sicher, solange diese Dunkelheit über dem Land liegt.“
Lyrian spürte das Gewicht dieser Aufgabe. Er war jung und unerfahren, aber er wusste, dass er nicht zögern durfte. Das Schicksal des Waldes und vielleicht ganz Draconis lag in seinen Händen.

Am nächsten Morgen, noch vor Sonnenaufgang, verließ Lyrian den Wald der Einhörner. Er trug leichte Rüstung aus geflochtenen Zweigen und trug einen schlanken Elfenbogen und einen Köcher mit Pfeilen, deren Spitzen mit einem sanften, magischen Leuchten versehen waren. Begleitet wurde er von seinem treuen Einhorn Silvanus, dessen Fell so weiß wie frisch gefallener Schnee war und dessen Horn in der Morgensonne silbern schimmerte.
Gemeinsam machten sie sich auf den Weg, hinaus aus der vertrauten Geborgenheit des Waldes, in die ungewisse Weite der Verzauberten Lande, bereit, sich den Gefahren zu stellen, die vor ihnen lagen. Lyrian wusste, dass seine Reise ihn vielleicht zu anderen Helden führen würde, die ebenfalls von der Bedrohung durch den Zorn der Ahnen berührt waren.
49 Minuten